Warum ein Alpendorf so eng mit der Geschichte des Ultraschalls verbunden ist
Inmitten eines smaragdgrünen Tals umgeben von schneebedeckten Berggipfeln, liegt das Dorf Zipf in Österreich – es könnte ein Bild aus einer Reisebroschüre sein. Bei einem Spaziergang durch das Dorf, das 600 Einwohner zählt, entdeckt man so charmante Orte wie eine Kirche mit Zwiebeldach, die Zipfer Brauerei und viele Schafe, die auf naturbelassenen Wiesen grasen.
Was in Zipf jedoch begeistert, ist sehr viel moderner, als das ländliche Image vermuten lässt. Als Standort der GE Healthcare Women’s Health Ultrasound Division (Bereich Ultraschall für Frauenheilkunde) ist Zipf ganz vorne mit dabei, wenn es um Geburtshilfe und gynäkologische Medizintechnik geht. Die Bedeutung der Region für diesen Bereich hat ihr sogar zu dem Spitznamen „Voluson Valley“ verholfen- denn ein hier entwickeltes Ultraschallgerät namens Voluson hat für einen bahnbrechenden Durchbruch in der Ultraschalldiagnostik gesorgt. Die Gegend verdankt dieses Vermächtnis der Vision der Familie Kretz. Der Ingenieur Paul Kretz entstammte einer wohlhabenden Brauerei-Familie in Österreich. Da er des Bierbrauens müde war, verkaufte er seine Anteile, um den – wie man heute sagt – „Tech-Inkubator“ zu schaffen. 1947 gründete er Kretztechnik – anfangs um Kartoffelkörbe aus geschweißtem Stahl herzustellen. Bald jedoch richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Sonartechnologie, die gleiche Technologie, die während des 2. Weltkriegs zur Ortung von U-Booten benutzt wurde. Der Gedanke war folgender: Wenn Hochfrequenz-Schallwellen sich durch einen Hohlraum bewegen und auf ein Objekt treffen, senden sie ein Echo zurück. Ähnlich wie Fledermäuse können Wissenschaftler Zeit und Stärke dieses Echos messen und so die Umrisse verborgener Objekte zeichnen. Zunächst wandte Paul Kretz diese Technik für die Materialprüfung an, um z. B. Löcher in Stahlprodukten zu entdecken – besonders in Schienen. Sie wurde auch benutzt, um die Dicke von Metallobjekten unter Wasser zu messen.
In den 60er Jahren bekam ein junger Wiener Frauenarzt namens Alfred Kratochwil Wind von der Arbeit von Kretztechnik und reiste mit einer etwas seltsamen, aber faszinierenden Idee nach Zipf: er wollte Schallwellen nutzen, um die Plazenta zu lokalisieren. Obwohl bereits Augenärzte die Ultraschalltechnik von Kretz zur Untersuchung der Augenlinsen nutzten, hatte noch nie jemand diese Technik in der Schwangerschaftsvorsorge eingesetzt.
Davon inspiriert, haben sich Ingenieure mit Kratochwil zusammengetan, um einen Gelenkarm zu erfinden, der sich entlang des Bauchs der Frau bewegt und Schallwellen überträgt und empfängt, um den Umriss des Fötus zu zeichnen. Das System war alles andere als perfekt. Denn Ultraschall schafft im Wesentlichen Bilder aus Geräuschen. Die kleinste Bewegung – ein Fußtritt des Babys oder der Atem der Mutter – würde die Maschine dazu bringen, Linien zu zeichnen, wo eigentlich nichts ist, und so den Blick der Ärzte oder Patientinnen auf den eigentlichen Fötus verfälschen. „Man musste ein wahrer Künstler sein, um ein korrektes Bild zu bekommen“, sagt Christian Grabner, Direktor Marktentwicklung für GE Healthcare Women’s Health Ultrasound, der 1982 bei Kretztechnik angefangen hat.
Aber Paul Kretz hatte einen Neffen mit einer cleveren Lösung. Carl Kretz, ehemals Forscher an der Technischen Universität in Wien, ersetzte den Gelenkarm durch ein motorisiertes Rad, das fünf verschiedene piezoelektrische Elemente hatte. Auch als „Wandler“ bekannt, können piezoelektrische Elemente elektrische Impulse in Schallwellen umwandeln. Indem sich die Wandler um eine Achse drehen, kann das Ultraschallgerät statt statischer zweidimensionale Bilder in Echtzeit darstellen, was den großen Vorteil birgt, dass der Betrachter die Fötus-Bewegungen verfolgen kann. Das neue Gerät wurde der Grundstein für Combison 100, das erste kommerziell erhältliche Ultraschallsystem. Damit wurde Ultraschall eine feste Größe in der Schwangerschaftsvorsorge.
Kretztechnik setzte die Entwicklungen fort. Das Unternehmen entwickelte benutzerfreundliche ergonomische Designs, führte neue Materialien zur Kostensenkung ein und baute eine Sonde, die in den Brustkorb des Patienten blicken und Bilder doppelt so schnell übertragen konnte. „Man konnte wirklich auf sich schnell bewegende Objekte wie z. B. den Mund und das Herz des Fetus schauen,“ sagt Grabner.
1989 stellte das Unternehmen seine bisher bahnbrechendste Erfindung vor: Das weltweit erste 3D Ultraschallgerät - Combison 330. Zum ersten Mal in der Geschichte konnten die werdenden Eltern vollständige Bilder ihres Kindes bereits Monate vor der Geburt betrachten. Allerdings mussten sie einen ganzen Tag warten, bis die Ultraschallbilder entwickelt waren. Und selbst dann bestand die Möglichkeit, dass die Bilder nichts waren.
Combison 330 selbst hat sich nicht durchgesetzt, aber letztendlich die Technologie. Nachdem der koreanische Ultraschallhersteller Medison Kretztechnik im Jahr 1996 erworben hat, haben die Ingenieure weiter an der Technik des Systems gefeilt und neue Eigenschaften hinzugefügt, so z. B. die Fähigkeit, Echtzeit 3D Bilder des Babys zu machen. Ihre Erfindungen waren Anlass genug, die Aufmerksamkeit von Omar Ishrak, seinerzeit Vizepräsident und General Manager von GE Medical Systems‘ Ultraschall Business, das Kretztechnik im Jahr 2001 erworben hat, zu erlangen. Die 3D und 4D Technik hat bei werdenden Eltern den Umgang mit der Schwangerschaft verändert. So können sie ihr Baby heutzutage schon vor der Geburt dreidimensional sehen.
Solche Momente können sogar noch beeindruckender werden, da GE Ingenieure in Zipf weiter daran arbeiten, unsere Kenntnisse in fetaler Entwicklung und Schwangerschaftsvorsorge zu vertiefen. Heute können blinde Eltern durch Berühren von 3D Druck Modellen ihre Babys „sehen“ und Chirurgen können winzige Herzen mit Hilfe von 3D Bildern fetaler Herzen operieren.
„Unser Team wird nie aufhören, Ultraschall einfacher und verständlicher sowohl für Ärzte als auch Patienten zu machen“, sagt Roland Rott, General Manager von Women’s Health Ultraschall bei GE Healthcare. „Und überhaupt, Unternehmertum liegt in unserer DNA. Wir freuen uns auf weitere Innovationen, die den Ultraschall-Einsatz verändern werden“.
Als nächstes auf der Tagesordnung: die Beschleunigung von pränatalen Diagnosen, indem Ultraschallsysteme mit Machine-Learning-Technik ausgestattet werden. Und dabei nicht vergessen- das alles gibt es nur, da Paul Kretz das Bier leid war.